Weshalb wächst die Gemeinde?
In Wittenbach rechnet das kantonale Amt für Raumentwicklung und Geoinformation in den nächsten 25 Jahren damit, dass die Bevölkerung um 1‘800 Personen zunehmen wird. Im Zusammenhang mit dem Gemeindeentwicklungskonzept und der Liegenschaftenstrategie ist das Bevölkerungswachstum immer wieder Thema. Beat Louis, Raumbeobachter des Kantons St.Gallen, erklärt im Gespräch wie die Prognose für Wittenbach zu Stande kommt und was deren Konsequenzen in Bezug auf die Entwicklung der Gemeinde sind.
Ist Bevölkerungswachstum eine neue Entwicklung?
Nein, das ist es nicht. Seit dem 18. Jahrhundert wächst die Schweizer Bevölkerung mit wenigen Ausnahmen jährlich um 0.5-2%. Zum einen erfolgt die Bevölkerungszunahme durch das natürliche Wachstum, also wenn es mehr Geburten als Todesfälle gibt. In der Schweiz liegt aktuell ein jährlicher Geburtenüberschuss von rund 10‘000 bis 20‘000 vor. Der grössere Teil des Wachstums ist jedoch auf die Einwanderung zurückzuführen. Diese Zunahme ist sehr schwankend und liegt aktuell bei rund 60‘000 Personen. Somit ist in der Schweiz jährlich mit einem Wachstum von 70‘000 - 80‘000 Personen zu rechnen.
Ist ein Wachstum einer Gemeinde nur über den Geburtenüberschuss realistisch?
Das kann möglich sein, wenn die entsprechende Altersstruktur vorhanden ist. Wachstum nur über den Geburtenüberschuss würde aber auch heissen, es dürfte keine Neuzuzüge geben. Wir haben in der Schweiz freie Wohnsitznahme. Wie soll das also möglich sein?
Gemäss der Prognose des Kantons wird die Gemeinde Wittenbach in den nächsten 25 Jahren auf 11‘000 Einwohner*innen anwachsen. Was ist die Grundlage für diese Prognose?
Das Bundesamt für Statistik erstellt für die Kantone drei verschiedene Szenarien. Aus heutiger Sicht ist ein mittleres Bevölkerungswachstum am wahrscheinlichsten. Der Kanton nimmt die statistischen Angaben des Bundes und rechnet diese auf die Gemeinde herunter. Dabei werden demografische Faktoren berücksichtigt, wie z.B. die vorhandene Altersstruktur oder die Anzahl Frauen im gebärfähigen Alter. In Bezug auf die Einwanderung werden Trends abgeschätzt und fliessen in die Berechnung ein. Wir vom Amt für Raumentwicklung lassen zudem noch politische Aspekte und Steuerungselemente in diese Prognose einfliessen.
Was heisst das?
Der kantonale Richtplan will das erwartete Bevölkerungswachstum insbesondere in den städtischen Raum lenken. Ländliche Gebiete hingegen sollen weniger wachsen. Damit will man die Zersiedelung bremsen und verhindern, dass Ortschaften breitflächig in unbebautes Gebiet wachsen. Im Kanton St. Gallen wird 65% des Bevölkerungswachstums auf die urbanen Räume gelenkt, 33% wird kompakten Siedlungen wie z.B. Andwil oder Waldkirch zugeordnet und 2% dem ländlichen Raum wie Muolen oder Häggenschwil. Als verbundenes Siedlungsgebiet zur Stadt St.Gallen wurde Wittenbach gemäss dem Raumkonzept des Kantons als „urbaner Verdichtungsraum“ definiert. Das heisst, der Gemeinde wird rein rechnerisch mehr vom Wachstum zugewiesen als beispielsweise der Gemeinde Häggenschwil.
Warum ist das so?
Das Bevölkerungswachstum kann aus raumplanerischen, energietechnischen oder ökologischen Gründen besser und sinnvoller in urbanen Räumen aufgefangen werden. Nehmen wir ein Beispiel: Wenn 1‘000 zusätzliche Personen nach Häggenschwil ziehen, bräuchte es zusätzliche Infrastruktur wie Ausbau des öffentlichen Verkehrs, der Schule, Strassen etc. Im Gegensatz zur Stadt St. Gallen, dort können weitere 1‘000 Personen aufgenommen werden, ohne dass die Infrastruktur im grossen Umfang angepasst werden muss.
Welche Konsequenzen hat das prognostizierte Wachstum des Kantons für Wittenbach?
Gemäss dem Bundesgesetz über die Raumplanung dürfen die Gemeinden nicht mehr als für 15 Jahre Bauzonenreserven ausweisen. Je grösser das Wachstum einer Gemeinde prognostiziert wird, desto mehr Bauzonenreserven dürfen vorhanden sein, damit für die steigende Bevölkerung der entsprechende Wohnraum geschaffen werden kann. In Wittenbach rechnen wir zwischen den Jahren 2017 und 2040 mit einem Bevölkerungszuwachs um 1‘800 Personen. Aufgrund dieses Zuwachses wurde für Wittenbach in diesem Zeithorizont eine zusätzliche Fläche von 18.7 Hektaren berechnet, die dereinst als Wohn- oder Mischzonen genutzt werden könnten. Es ist nicht so, dass diese Fläche als Bauzone umgesetzt werden muss, aber sie gilt als Obergrenze.
Beat Louis im Interview von Isabel Niedermann
Haltung des Gemeinderates zum Bevölkerungswachstum
Der Gemeinderat sieht die Wachstumsprognose des Kantons als Chance für eine Neuausrichtung der Gemeinde. „Wir können diese Prognosen nutzen, um aktuellen Entwicklungstendenzen entgegenzuwirken und die Gemeinde in eine attraktive Richtung zu lenken.“ erklärt Gemeindepräsident Oliver Gröble. Dabei gelte es, ein qualitatives Wachstum anzustreben. Das heisst, das Bevölkerungswachstum insbesondere auf gute Steuerzahler*innen zu lenken. Damit folgende Veränderungen angestrebt werden:
- Bessere Durchmischung der Bevölkerungsstruktur
- Erhöhung der Steuerkraft
- Verbesserung des Finanzhaushaltes
Um diese Entwicklung umzusetzen, dient das Gemeindeentwicklungskonzept sowie die Liegenschaftenstrategie. Im Gemeindeentwicklungskonzept sind Gebiete definiert, die Entwicklungspotenzial aufzeigen. Die meisten dieser Gebiete liegen gemäss Oliver Gröble bereits in der Bauzone. „Damit streben wir die Innenverdichtung an und beanspruchen wenig zusätzliche Bauzone am Siedlungsrand.“ Die Liegenschaftenstrategie zeigt auf, wie mit den gemeindeeigenen Grundstücken das Ziel des qualitativen Wachstums umgesetzt werden soll. Diesbezüglich findet am 28. Juni, 19.00 Uhr, OZ Grünau eine Informationsveranstaltung statt.
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Datum der Neuigkeit 7. Juni 2022